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19. März 2024

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Die Brücke, die sich dehnen kann

Die Brücke, die sich dehnen kann© TU Wien

Damit Brücken sich verformen können, braucht es normalerweise aufwändige Dehnfugen. Die TU Wien entwickelte nun eine ressourcenschonende Technik ohne Fugen.

Fährt man in flottem Tempo über eine Brücke, dann rumpelt es am Anfang und am Ende durch eingebaute Dehnfugen, die sich je nach Temperatur ausdehnen oder zusammenziehen. Diese Fugen sind teuer und wartungsintensiv. An der TU Wien wurde nun eine Brückenvariante ohne diese Dehnfugen entwickelt und aktuell von der ASFINAG beim Bau der Satzengrabenbrücke an der Nordautobahn erstmals eingesetzt. Die dehnfugenlose Brücke hat ihren ersten Wintereinsatz überstanden und die Messergebnisse zeigen, dass die neue Technik problemlos funktioniert.

Hohe Instandhaltungskosten und zusätzliche Nachteile
„Kleinere Distanzen überbrückt man gerne mit sogenannten integralen Brücken, das sind monolithische Bauwerke, bei denen es keine getrennten Teile gibt, die sich gegeneinander verschieben könnten“, erklärt Johann Kollegger vom Institut für Tragkonstruktionen der TU Wien. Bei längeren Brücken ist das normalerweise nicht möglich, denn der Beton kann sich abhängig von der Temperatur ausdehnen oder zusammenziehen. Bei einer Brücke mit einer Länge von 100 Metern ergeben sich schon einige Zentimeter Längenunterschied zwischen Sommer und Winter, rechnet Kollegger vor. Das ist zu viel, besonders im Winter, wenn sich der Beton zusammenzieht, können schwere Schäden in der Asphaltfahrbahn entstehen. Im Sommer ist die Gefahr geringer, weil das Material bei höheren Temperaturen formbarer wird.
Mit Dehnfugen lässt sich das Problem beheben: Die Brücke besteht dann aus mehreren Teilen, die sich in einem gewissen Ausmaß frei gegeneinander verschieben können. Diese Dehnfugen sind jedoch ein typischer Schwachpunkt, sie brauchen immer wieder Wartung und sind die Ursache für etwa 20% der Instandhaltungskosten. „Da sind allerdings die volkswirtschaftlichen Schäden noch gar nicht mitberücksichtigt, die durch Umleitungen, Staus und Verkehrsbehinderungen anfallen“, fügt Kollegger hinzu.

Die Perlen auf der Gummischnur
An der TU Wien entwicklete man nun eine Alternative: Statt die Verformung in einzelnen Fugen am Anfang und am Ende der Brücke aufzunehmen, verteilt man die Verformung auf einen größeren Bereich. 20 bis 30 Betonelemente werden hintereinander aufgereiht und mit Seilen aus einem speziellen Glasfaser-Werkstoff miteinander verbunden. Die Konstruktion ähnelt einer Kette von Perlen, die auf einem Gummiband aufgefädelt sind: Wenn daran gezogen wird, erhöht sich der Abstand zwischen allen Perlen gleichmäßig im selben Ausmaß. Wenn sich die Brücke im Winter verkürzt, entstehen zwischen benachbarten Betonelementen kleine Spalten – allerdings nur im Millimeterbereich, sodass diese keine Gefahr für die Asphaltfahrbahn darstellen.
Der fugenlose Fahrbahnübergang wurde von der TU Wien mit Unterstützung durch ihre Abteilung „Forschungs- und Transfersupport“ patentiert. Wichtig war außerdem, eine passende Asphaltmischung zu entwickeln, mit der man die Betonelemente bedecken kann. Sie muss flexibel genug sein, um die millimeterkleinen Bewegungen mitzumachen, ohne dabei rissig zu werden. Diese Aufgabe übernahm wiederum das Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien.

Pilotprojekt in Niederösterreich
Die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-AG ASFINAG war von Beginn an am Projekt beteiligt und war somit auch der erste Bauträger auf Basis der neuen Entwicklung. Als Teil der Nordautobahn A5 zwischen Schrick und Poysbrunn im Norden Niederösterreichs wurde die 112 Meter lange Satzengrabenbrücke errichtet, nunmehr die längste integrale Brücke Österreichs.
Im Rahmen dieses ersten Pilotprojekts wurde auch ein umfangreiches Monitoringprogramm installiert und nach den ersten Winterwochen eine Zwischenbilanz gezogen: „Unsere theoretischen Berechnungen zur Aufteilung der Verformungen auf die einzelnen Betonelemente konnten durch die Messungen bestätigt werden“, so Michael Kleiser, zuständiger Experte für Brückenbau bei der ASFINAG. „Das Team hofft, dass sich die neue Methode nicht nur in Österreich sondern auch in anderen Staaten bald durchsetzt“, so die TU-Wien in einer Aussendung.

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red/cc, Economy Ausgabe Webartikel, 23.02.2018