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29. März 2024

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Die Konzentration auf das Wesentliche

Ein fulminanter Jagger, ein auftauender Richards, ein sprühender Woods und Sir Charles als rhythmische Spange mit einer auf die Band fokussierten Bühnenshow beim aktuellen Stones-Konzert in Österreich. Kritisiert werden muss einzig die desaströse fahrlässige Organisation von Veranstalter (Barracuda Music) und Kartenbüro (Ö-Ticket) bei gesamter Besucherlogistik und Kundenservice.

(Christian Czaak; Spielberg/Steiermark) Beginnen tut das 15. Konzert der Stones in Österreich vor 95.000 Fans jeder Altersstufe und Gesellschaftsschicht nach einer normalen Anfahrt mit mühsamsten Zutrittsbarrieren. Zum extra bezahlten Parkplatz wird man vom ahnungslosen und sichtbar überforderten Personal nicht durchgelassen und zum Eingang selbst wird man dann über Kilometer lange, völlig überflüssige Gatschströme umgeleitet, nur um dann wieder auf den ursprünglichen (asphaltierten) Hauptweg zu gelangen.
Die teuerste Eintrittskarte berechtigt nicht zum Eintritt beim separaten Zugang für die (vglw. billigeren) VIP-Plätze, nach weiterer Warteschlange und Diskussionen mit dem auch hier ahnungslosen Personal erfolgt finale Wegweisung retour zum Haupteingang – und nochmalige Warteschlange. Auch da dann keine Information wie man zum richtigen Platz kommt. Weitere 30 Minuten später ist es allein geschafft. Nach einem in Summe einstündigen Fußmarsch durch knöcheltiefen Schlamm und einem Ottakringer um sieben Euro ist das Ziel, der sogenannte „No Filter Tip“ mit „Pit-Access“ direkt an der Bühne erreicht – und die bisherigen Mühen ob des Ausblicks nahezu vergessen.

Richards braucht etwas Zeit, Woods überaus fidel
Los geht’s mit „Symphaty for the Devil“, bei den ersten Klängen übernimmt das Publikum mit „Huuhh, huuhh“ sofort die Intro und dann übernehmen die Stones mit einem vom Start weg furiosen Jagger an der Spitze. Als gewohnt gertenschlanker Wirbelwind fegt er mühelos singend von einem Bühnenende zum nächsten und wieder retour und dazwischen geht auch noch ein Abstecher auf den Steg in die Publikumsmitte. Es folgen „It’s only Rock’n Roll“ und die Blues-Nummern „Just Your Fool“ und „Ride em Down“.
Richards wird munterer, findet nach einigen hörbaren Fehlversuchen das richtige Riff, hört dann jedoch mitten im Song auf um sich eine Zigarette anzuzünden - für die er aber wiederum das Feuerzeug nicht gleich findet. Egal, das Publikum feiert auch das mit frenetischem Jubel. Bemerkenswert auch Ronnie Wood, musikalisch und spielerisch aber vergleichweise von Beginn weg voll da, den Kontakt zum Publikum suchend, spielend und tanzend und spielend mit der seiner neuen jungen Flamme gewidmeten Gitarre und dabei lustige Grimassen schneidend.

Die spürbare Mauer zwischen Jagger und Richards
Über allem thront, zumindest nach außen nahezu unbeeindruckt, Charlie Watts, Schlagzeuger und vereinende musikalisch rhythmische Spange der vier Haudegen. Einmal entkommt ihm sogar ein inniges Lächeln in Richtung Richards als der ihn knieend anspielt. Bis zum Schluss folgen alle Welthits wie „Honky Tonk Women“, „Miss you“, nahezu unplugged an der Gitarre auch von Jagger gespielt, dann „Under my Thumb“, (mein) „You can’t always get what you want... you get what you need.“, eine wiederum als überlange, über 15 Minuten dauernde Jam-Session gespielte Version von „Midnight Rambler“, das vom Publikum gewählte „She is a Rainbow“, „Start me up“ und als Zugaben (endlich) auch „Gimme Shelter“ und „Jumping Jack Flash“.
Musikalisch und stimmlich war das Konzert absolut professionell, sieht man von Richards kleinen Schnitzern zu Beginn ab. Mit Fortdauer des Gigs kam auch er in den „Flow“ und spätestens nach seinen traditionellen Solonummern „Happy“ und „Slippn away“ (mit unveränderter Gesangesstärke) war alles wieder gut. Auffallend und spürbar war trotzdem eine Art Mauer zwischen Jagger und Richards. Möglicherweise ärgerten den für seinen Perfektionismus bekannten Ober-Stone die anfänglichen Missinterpretationen seines Lead-Gitarristen. Es gab diesmal zudem keine gemeinsam umarmte Verabschiedung der Vier wie etwa beim letzten Wien-Konzert 2014 und keinen einzigen engen „Zweier-Auftritt“ der beiden Ober-Stones. Von Woods und Richards dafür viele, mehrmals spielten sie sich gegenseitig in einen Rausch.

Wenig Herz vom Publikum versus verbesserungswürdige Dramaturgie
Gegenüber Wien 2014 („14 On Fire Tour“) war das aktuelle Konzert insgesamt weniger stimmungsvoll, es hatte „weniger Herz“ weil eine wirklich emotionale Brücke vom Publikum aus fehlte. Tanzende und mitsingende Menschen sah man nur wenige, zumindest im vorderen Bereich. Dafür witzige Situationen mit erwachsenen Söhnen, die ihre rhythmisch mitwippenden und singenden und winkenden Väter (Typ Arzt, Architekt oder Theoretiker) ungläubig von der Seite anstarren und (heimlich) fotografieren. Im Vergleich zum letzten Wien-Gig im Happel-Stadium mit rund 55.000 Besuchern wirkte das Areal in Spielberg auch zu weitläufig und unpersönlich. Die knapp doppelte Anzahl an Besuchern fordert ihren Tribut.
Zudem hinkte die Dramaturgie bei der Reihenfolge der einzelnen Titel. Etwa „Symphaty for the Devil“, eine der allerbesten Nummern, als Starter für ein noch „kaltes“ Publikum zu spielen oder „You can’t always get what you want“ ohne Chor oder „Gimme Shelter“ ohne Lisa Fischer oder einen adäquaten weiblichen Ersatz zeugt von einem primär auf das zügige Abspielen der beliebtesten Hits reduzierten (möglicherweise auch kostenoptimierten) Job. Dazu passt auch die „Bühnenshow“ mit den diesmal rein die Musiker wiedergebenden Bildschirmen, wahrscheinlich um den bis zu 200 Meter entfernten hinteren Rängen auch ein „Live-Feeling“ zu vermitteln.

2014 war das alles weitaus besser arrangiert und umgesetzt, die wichtigsten Titel mit einer eindrucksvollen Filmkulisse visualisiert und untermauert („Stones Gorilla“ oder „Stones Würfel“), inklusive der damaligen supertollen Version von „Midnight Rambler“ gemeinsam mit dem Gitarrenvirtuosen Mick Taylor. 2017 war nun die Konzentration auf das Wesentliche angesagt, in der gewohnt professionellen und musikalisch absolut hochwertigen Umsetzung, glaubhaft und begeisternd unter der Führung des charismatischen Mick Jagger vermittelt. Diese vier immer noch jungenhaften Rock-Giganten bleiben unerreicht und sind immer wieder jede Mühe und jeden Euro wert. Hut ab mit tiefer Verbeugung, auf das sie wieder kommen (nach Wien), einmal noch vor ihren Achtzigern – aber dann zum wirklich „allerletzten Mal“.

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red/cc, Economy Ausgabe Webartikel, 18.09.2017