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18. April 2024

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Multiple Entzündungsherde durch Covid-19 und das Thema Vorsorge

Multiple Entzündungsherde durch Covid-19 und das Thema Vorsorge© MedUni_Innsbruck

Sars-CoV-2: es gibt keine andere Virusinfektion, die so umfangreiche Entzündungen im Körper verursacht. Ein Expertenkommentar von Herbert Tilg, Internist und Gastroenterologe der Innsbrucker Univ. Klink für Innere Medizin.

Durchfall, Übelkeit, Erbrechen – das sind Symptome, die nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 gerade in der Anfangsphase bei rund 10 bis 20 Prozent der Betroffenen auftreten. Wir sehen bei unseren PatientInnen, dass der Verdauungstrakt entzündlich mitbeteiligt ist. Dauerhaft scheinen die Verdauungsorgane nicht geschädigt zu werden, vieles ist aber noch ungewiss.

Nachweisen konnten wir, dass im Stuhl das Entzündungseiweiß Calprotectin, ein Biomarker für eine Darmentzündung, deutlich erhöht ist. Wir wissen also, dass Covid-19 nicht nur eine Entzündung in der Lunge verursacht, sondern wahrscheinlich auch im Dünn- und Dickdarm. Die sensible Keimwelt im Darm, die Mikrobiota, verändert sich massiv.

Behandlung mit Cortison bei schweren Verläufen Standardverfahren
Viele Covid-19 PatientInnen entwickeln auch krankhaft erhöhte Leberwerte. Generell zeigt diese Erkrankung ein sehr breites klinisches Bild. Das heißt, es können verschiedene Organe beteiligt sein. Es gibt keine andere Virusinfektion, die in einem so großem Ausmaß Entzündungen im Körper verursacht.

Covid-19 ist also eine entzündliche Erkrankung, die den Organismus „überfährt“. Die Behandlung mit Cortison ist zu einer wirklichen Therapie geworden. Früher galt es als absurd, eine Infektion so zu behandeln. Jetzt ist es bei schweren Verläufen ein Standardverfahren.

Auch mit Fieber und Magen-Darm-Beschwerden zu Hause bleiben
Da das Virus mittlerweile so häufig ist, gilt nun entsprechend auch mit Fieber und Magen-Darm-Beschwerden primär zu Hause bleiben - es könnte ja auch eine andere Viruserkrankung vorliegen. Eine weitere Verbreitung sollte jedenfalls vermieden werden, unabhängig davon, um welchen Erreger es sich handelt.

Aktuell können Symptome wie Durchfall oder Erbrechen daher jedenfalls Anzeichen für eine Covid-19 Erkrankung sein. Gerade in der Frühphase sind es manchmal die einzigen Symptome. Später kommen meist weitere hinzu. Nur in Einzelfällen dominiert die Infektion der Verdauungsorgane das Geschehen.

Neue Erkenntnisse bei inneren Organen wie der Leber
Eine weitere Erhebung von uns zeigt, dass fast 50 Prozent der Betroffenen krankhaft erhöhte Leberwerte haben. Das Ausmaß der Leberwerte korreliert mit der Entzündung im Körper. Die Leber ist damit ein weiteres Organ, das von den entzündlichen Prozessen einer Covid-19 Erkrankung betroffen ist.

Darüber hinaus haben die Patientinnen einen erhöhten Neopterinspiegel im Stuhl. Dieser Marker zur Erfassung der Immunaktivität wurde in den 1980iger Jahren an der damaligen Medizinischen Fakultät in Innsbruck entdeckt. Voraussichtlich kommt es also zu einer Entzündungsreaktion in der Darmwand.

Massive Veränderung der Keimwelt
Covid-19 führt zu einer massiven Veränderung der Keimwelt. Die tausenden von Bakterienfamilien in der Mikrobiota ändern sich total. Es gibt erste Hinweise, dass diese Verschiebung etwas mit dem Schweregrad der Erkrankung zu tun hat.

Die Keimwelt wird durch die Infektion verändert und trägt letztlich auch zur Ausbreitung der Entzündung im Körper bei. Das hat natürlich einen nachhaltigen Effekt auf das Krankheitsgeschehen und die Mikrobiota ist damit auch ein mögliches Ziel für die Behandlung.

Die Langzeitfolgen im Verdauungstrakt
Zum wichtigen Thema der Verdauung laufen noch Forschungsarbeiten, aber wir wissen, dass sich im Schnitt die Symptomatik der Verdauungsorgane bei Covid-19-PatientInnen nach Tagen oder Wochen wieder legt. Auch die Entzündungen der Leber, die wir in der Akutphase sehen, legen sich wieder.

Bei schweren Verläufen einer Covid-19 Erkrankung kommt es zu der bereits häufig beschriebenen totalen Überreaktion des Immunsystem. Dieser sogenannte Zytokinsturm fährt regelrecht in alle Organe hinein. Zum Glück sehen wir auch in der Leber aktuell keine chronischen Schädigungen – wie andere Entwicklungen wird aber auch das genau beobachtet.

Ein gesonderter Appell beim immens wichtigen Thema Vorsorge
Ein (generell) wichtiger Punkt ist natürlich das Thema Vorsorge. Wir sehen, dass PatientInnen nicht nur während des Lock-Downs, sondern auch danach oft nicht zu wichtigen Vorsorgeuntersuchungen kommen. Erste Hochrechnungen zeigen, dass wir rund zehn Prozent der Darmkrebserkrankungen später und daher in einem fort geschritteneren Stadium diagnostizieren werden.

Das bedeutet einen grundlegenden Nachteil für die Betroffenen. Daher bitte mein eindringlicher Appell: Bitte gehen Sie weiterhin zur Vorsorge! Das hat wirklich einen signifikanten Effekt auf Heilungschancen. Endoskopien etwa sind an der Universitätsklinik Innsbruck auch aktuell möglich.

Herbert Tilg ist Internist und Gastroenterologe sowie Direktor der Univ.-Klinik für Innere Medizin I an der Innsbrucker Med Uni Klinik.

Die Medizinische Universität Innsbruck mit rund 2.000 MitarbeiterInnen und 3.300 Studierenden ist gemeinsam mit der Uni Innsbruck die größte Bildungs- und Forschungseinrichtung in Westösterreich und versteht sich als Landesuniversität für Tirol, Vorarlberg, Südtirol und Liechtenstein.

Das Angebot beinhaltet die Studienrichtungen Humanmedizin und Zahnmedizin als akademische Basis und das PhD-Studium (Doktorat) als postgraduale Vertiefung des wissenschaftlichen Arbeitens. An das Studium der Human- oder Zahnmedizin kann außerdem der berufsbegleitende Clinical PhD angeschlossen werden.

Seit Herbst 2011 wird exklusiv in Österreich das Bachelorstudium „Molekulare Medizin“ angeboten, das ab dem Wintersemester 2014/15 auch als Masterstudium absolviert werden kann. Forschungsschwerpunkte sind Onkologie, Neurowissenschaften, Genetik und Genomik sowie Infektiologie, Immunologie & Organg- und Gewebeersatz.

Der wissenschaftliche Forschungsbereich an der Medizinischen Universität Innsbruck gilt auch im internationalen Vergleich als überaus erfolgreich. Economy berichtete in der Vergangenheit über zahlreiche neue Entwicklungen und bahnbrechende Behandlungserfolge.

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red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 07.12.2020