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19. April 2024

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Profitinteressen versus übergreifende Wirtschaftsbildung

Profitinteressen versus übergreifende Wirtschaftsbildung© Pexels.com/Max Firscher

Neues Netzwerk kritisiert zunehmende Profitinteressen an Schulen und fordert zukunftsfähige und integrative Wirtschaftsbildung. Attac, Arbeiterkammer, Armutskonferenz, Bildungsvereine und Universitäten zeigen Probleme und Lösungswege auf.

(red/czaak) Ein neues Netzwerk aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft für eine zukunftsfähige Wirtschaftsbildung sieht die Unabhängigkeit der Schule durch Profitinteressen bedroht und fordert eine zukunftsfähige und integrative Wirtschaftsbildung. Das beinhalte volkswirtschaftliche Bildung, Konsumentenschutz, ökonomische Alphabetisierung und die Vermittlung der Fähigkeit, wirtschaftliches Handeln in soziale, politische und ökologische Kontexte einbetten zu können. Kritisiert werden zudem die Pläne für eine Einführung eines eindimensionalen Faches „Wirtschaft“, das einflussreiche Wirtschaftslobbys vorantreiben sollen. 

„Wir alle machen Wirtschaft“
In einer von Attac versandten Aussendung werden als erste ProponentInnen und Mitgliedsorganisationen des neu gegründeten Netzwerks: „Wir alle machen Wirtschaft -  Netzwerk für eine zukunftsfähige und integrative Wirtschaftsbildung" genannt: Reinhold Hedtke, Soziologe an der Uni Bielefeld, Walter Ötsch, Ökonom an der Uni Koblenz, der Verein für Geographische und Wirtschaftliche Bildung, Attac Österreich, die Arbeiterkammer und die Armutskonferenz.

Auch das Rechtsstaat & Antikorruptionsvolksbegehren fordert daher etwa „die ehestmögliche Schaffung und Implementierung entsprechend klarer Compliance-Regularien für die öffentliche Verwaltung, um Anscheinsbefangenheiten, Interessenkonflikte und letztlich auch Einfallspforten für Korruption verlässlich hintanhalten zu können.“

Bildung bedeutet Demokratiebefähigung
„Eine zukunftsfähige wirtschaftliche Bildung fördert die Befähigung zur Demokratie. Gleichzeitig muss Ökonomie als Sozialwissenschaft verstanden und vermittelt werden. Quasi „naturwissenschaftliche“ Regeln eines Marktes oder ökonomische Sachzwänge müssen kritisch hinterfragt werden.“

Und: „Wirtschaftliche Entwicklungen sind auch einem politischen, demokratischen Diskurs zu unterwerfen. Dies muss auch eine zukunftsfähige Bildung vermitteln, damit Menschen demokratisch mitbestimmen können und Zukunft gestaltbar und offen ist“, erläutert Walter Ötsch, Ökonom an der Universität Koblenz. 

Kompetenzen für verantwortungsbewusstes Mitgestalten
Christian Fridrich, Vorsitzender des Vereins für geographische und wirtschaftliche Bildung fordert eine kritische, mehrperspektivische und an verschiedenen wirtschaftlichen Denkrichtungen ausgerichtete Bildung: „Junge Menschen müssen Orientierungs-, Urteils- und Handlungskompetenzen entwickeln.“

Und: „Diese müssen es ihnen ermöglichen, als mündige BürgerInnen die gesellschaftlichen, ökologischen, ökonomischen und technologischen Herausforderungen verantwortungsbewusst mitzugestalten.“ Die Schaffung eines eigenen Faches Wirtschaft und die Unterteilung in viele Einzeldisziplinen sei „aus didaktischer Perspektive höchst fragwürdig“ und „Wirtschaftsbildung müsse noch stärker zu einem fächerübergreifenden Unterrichtsprinzip werden.“ 

Schlechte Erfahrungen mit eindimensionalem Fach „Wirtschaft“
Auf Basis der Erfahrungen aus Deutschland kritisiert Reinhold Hedtke, Soziologe an der Universität Bielefeld, die Pläne für eine Einführung eines eigenen, eindimensionalen Faches Wirtschaft. Rund ein Drittel der Aufgaben nehme darin die Unternehmersicht ein, keine die der Arbeitnehmerinnen. "Politik kommt zwar vor, aber die Menschen haben keinen Einfluss darauf“, kritisert Hedtke.

Hedtke weiter: „Wirtschafts- und sozialpolitische Alternativen und Kontroversen existieren nicht. In diesem Weltbild haben die Wirtschaftsbürger zwei Aufgaben: Steuern zahlen und wählen gehen.“ Wirtschaftliche Bildung müsse „zur Mitbestimmung an der politischen Gestaltung von Wirtschaft, in Öffentlichkeit und Politik, Unternehmen, Organisationen und Zivilgesellschaft befähigen.“ Sie gehe damit weit über individuelles Orientieren, Entscheiden, Handeln und Optimieren hinaus. 

Profitorientierte Großunternehmen drängen in schulische Sphären
„Private, profitorientierte Großunternehmen, Banken, Versicherungen und deren Interessensverbände drängen aktuell immer stärker in die schulische Sphäre. Sie produzieren vermehrt Unterrichtsmaterialien und bieten außerschulische Angebote an. Darin stellen sie die Zukunftsfähigkeit des Sozialstaats in Frage, propagieren private Vorsorgeprodukte mit hohen Gebühren und lobbyieren bei zuständigen öffentlichen Institutionen und Ministerien für ein eigenes Fach Wirtschaft, bei dessen Lehrplan und Inhalten sie mitschreiben wollen“, so ein weiterer Kritikpunkt. 

Die Wirtschafts- und Finanzbildung habe frei von kommerziellen Partikularinteressen zu erfolgen, fordert auch die Arbeiterkammer. „Wir wollen nicht, dass an unseren Schulen profitorientierte Verwertungsinteressen ungefiltert gelehrt werden, als gebe es keine Alternativen dazu. Es braucht gut informierte, kritische KonsumentInnen, die eine breite Wirtschaftsbildung haben und über Risiko, ungleiches Wissen und die umverteilende Wirkung von Kapitalmärkten Bescheid wissen”, unterstreicht Ilkim Erdost, Bereichsleiterin Bildung und KonsumentInnen, Arbeiterkammer.

Klientelpolitik für Finanzdienstleister
Die Bundesregierung hat als Folge einer OECD-Initiative im September 2021 eine "Finanzbildungsstrategie“ vorgelegt. Diese benennt zwar auch sozial-ökonomische Probleme wie Altersarmut, Klimawandel, Verarmung oder Überschuldung. Doch in der Strategie „gehe es nicht darum, wirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen und kritisch zu reflektieren.“ Unter den Schlagworten Armutsbekämpfung und Geschlechtergleichstellung werde stattdessen „Klientelpolitik für Finanzdienstleister betrieben.“

Zukunftsfähige Wirtschaftsbildung müsse hingegen „kritische Reflexion, die Interessen der Allgemeinheit und den Erhalt unserer Lebensgrundlagen ins Zentrum stellen“, fordert Attac. „Altersarmut von Frauen ist nicht auf deren mangelndes Finanzwissen zurückzuführen. Andernfalls werden nicht nur Zusammenhänge falsch dargestellt, sondern auch die tatsächlichen Ursachen von Frauenarmut verschwiegen", unterstreicht Martin Schenk, Sozialexperte der Armutskonferenz.

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red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 02.05.2022